Das Becken fungiert als Bindeglied unseres Körpers. Es verbindet Oberkörper und Unterkörper miteinander. Ein gesundes Becken ist die Basis für eine stabile Wirbelsäule sowie ein bewegliches Hüftgelenk. Ein komplett gerades Becken hat fast niemand. Kleinere Differenzen gleicht der Körper problemlos aus.
Ist das Becken allerdings deutlich zur Seite geneigt, so kann das auf den Körper ernste Auswirkungen haben. Wie ein Beckenschiefstand entsteht, anhand welcher Symptome man ihn erkennen kann und welche Maßnahmen dagegen helfen, erfährst Du im folgenden Artikel.
Inhaltsverzeichnis
Wie ist das Becken aufgebaut?
Ein gesundes Becken ist extrem beweglich. Diese Mobilität wird durch Muskeln sowie durch das Hüftgelenk ermöglicht. Auch die Faszien, die sich im Beckenboden befinden, sind entscheidend für die Beweglichkeit. Die Faszien umhüllen die Muskeln. Es handelt sich um Weichteil-Komponenten des Bindegewebes, deren Funktion oftmals unterschätzt wird. Dabei könnten die Muskeln ohne die Stützfunktion der Faszien gar nicht richtig arbeiten. Wann immer Du eine Bewegung ausführst, passen sich die Faszien dem Bewegungsablauf an.
Das Becken setzt sich aus folgenden knöchernen Strukturen zusammen:
Die Hüftbeine (Sitzbein, Darmbein, Schambein: auf jeder Seite)
Das Kreuzbein
Das Iliosakralgelenk
Die Hüftgelenke sind in der Hüftgelenkpfanne verankert. Dies ist auch die Stelle, an der die Hüftbeine aufeinandertreffen. Das Kreuzbein befindet am unteren Abschnitt der Wirbelsäule in der Mitte des Beckens. Die beiden Darmbeine verbinden das Kreuzbein mit dem Iliosakralgelenk (kurz ISG).
Du siehst also, der Aufbau Deines Beckens ist ziemlich komplex. Kein Wunder, dass es zu starken Beschwerden kommt, wenn dieser ineinandergreifende Mechanismus durch einen Beckenschiefstand im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Gleichgewicht gerät.
Wie entsteht ein Beckenschiefstand?
Grundsätzlich ist zwischen einem funktionellen Beckenschiefstand und einer strukturellen Schiefstellung zu differenzieren. In den meisten Fällen handelt es sich um einen funktionellen Schiefstand, eine strukturelle Schiefstellung macht nur 10 % der Fälle aus.
Wie entsteht ein funktioneller Beckenschiefstand?
Wenn Du unter einem funktionellen Beckenschiefstand leidest, so ist dies nicht auf eine angeborene anatomische Ursache zurückzuführen. Deine Knochen sind gesund. Stattdessen liegt eine erworbene Störung der Weichteile (Bänder, Sehnen, Faszien, Muskeln) in deinem Becken- und Hüftbereich vor.
Wenn Du einen überwiegend sitzenden Berufsalltag hast und auch in Deiner Freizeit nur wenig Sport treibst, ist es möglich, dass sich Deine Hüftbeuger verkürzen. Der Hüftbeuger ist ein Muskel, der an der Rückseite der Lendenwirbelsäule beginnt und sich über das Schambein bis zur Innenseite Deiner Oberschenkel erstreckt.
Verkürzt sich der Hüftbeuger durch Vernachlässigung oder Fehlbelastung (z. B. durch langes Sitzen), büßen auch die Faszien an Dehnbarkeit ein. Wenn Du Deinen verkürzten Hüftbeuger nun bewusst aufrichten möchtest, gelingt Dir das immer schlechter. Umgangssprachlich ausgedrückt: Deine Hüftbeuger rosten ein und werden immer unbeweglicher.
Die Verkürzung des Hüftbeugers kann entweder beidseitig oder nur auf einer Seite vorliegen. Ein beidseitig verkürzter Hüftbeuger zieht den Oberkörper nach vorne, was Rückenschmerzen begünstigt. Im Falle einer einseitigen muskulären Verkürzung muss die nicht verkürzte Körperseite enorm viel Kraft aufwenden, um normale Bewegungen auszuführen.
Bei einer einseitigen Hüftbeuger-Verkürzung sind die gegenüberliegende Gesäßhälfte und der untere Rücken von einer permanenten Überlastung betroffen. Um die Verkürzung auszugleichen, ist Dein Hüftgelenk enormen Zugkräften ausgesetzt, was Dein gesamtes Becken in Schieflage bringt.
Wie entsteht eine strukturelle Schiefstellung des Beckens?
Bei einem strukturellen Beckenschiefstand liegt eine anatomische Ursache für die Schiefstellung vor, z. B. eine einseitige Beinverkürzung. Die Beine sind bei keinem Menschen vollkommen gleich lang, eine Beinlängendifferenz von 3 bis 9 mm ist nicht ungewöhnlich. Beträgt der Unterschied jedoch über einen Zentimeter oder mehr, wird es problematisch.
Beinlängendifferenzen können entweder auf Wachstumshemmungen oder unerwünschte Stimulationen zurückzuführen sein. Wachstumshemmungen sind in manchen Fällen genetisch bedingt. Öfter sind sie jedoch die Folge eines Unfalls. Nach einem komplizierten Bruch ist es keine Seltenheit, dass der Knochen nicht mehr optimal zusammenwächst und infolgedessen eine Beinlängendifferenz entsteht.
Manchmal verhält es sich genau umgekehrt. Anstelle einer Wachstumshemmung kommt es zur übermäßigen Stimulation der Wachstumsfugen. Die Folge ist jedoch dieselbe: Ein Bein bleibt hinterher kürzer als das andere. Zu den Auslösern für eine Überstimulation zählen vor allem Infektionen und Tumoren.
Weitere Informationen rund um das Thema Beckenschiefstand und Beinlängendifferenz findest Du hier: https://gelenk-klinik.de/hueftgelenk/beckenschiefstand-beinlaengendifferenz.html#symptome
Welche Symptome können bei einem Beckenschiefstand auftreten?
Ist der Beckenschiefstand stark ausgeprägt, kann sich durch die ungleichmäßige Zugbelastung eine Skoliose entwickeln. Hierbei ist die Wirbelsäule zu einer Seite verbogen. Die anatomische Fehlstellung ist im fortgeschrittenen Stadium deutlich sichtbar (Rippenbuckel, unterschiedlich hochstehende Schultern).
Typisch für Skoliose sind neben starken Kreuzschmerzen ausstrahlende Schmerzen in den Nacken-; Kopf- und Schulterbereich. Der Patient ist nicht mehr in der Lage, eine gerade Haltung einzunehmen. In schweren Fällen kann sich bei einer starken Verdrehung der Wirbelsäule auch die Brust- und Bauchhöhle verformen. Dies kann die Funktion der inneren Organe beeinträchtigen.
Neben der Skoliose kann ein Beckenschiefstand ebenso eine Blockade des ISG-Gelenks begünstigen. Infolgedessen kommt es zu Rückenschmerzen, Bewegungseinschränkungen der Hüfte und Kribbeln in den Extremitäten.
Bei einem Beckenschiefstand sitzen der Gelenkkopf und die Gelenkpfanne des Hüftgelenks nicht mehr aufeinander, so wie es bei einem gesunden Becken der Fall wäre. Hierdurch kommt es zur ungleichmäßigen Abnutzung der Gelenke, was wiederum die Entstehung von Arthrose fördert.
- Rückenschmerzen (vor allem im unteren Rücken)
- Nackenschmerzen
- Kopfschmerzen
- Kieferschmerzen bis hin zu Bruxismus (Zähneknirschen)
- Hüftschmerzen
- Kniebeschwerden
- Schmerzen im Oberschenkel
- Probleme mit den Bandscheiben
- Schwindel
Insbesondere bei einer Schwindelsymptomatik ziehen die wenigsten Ärzte einen Beckenschiefstand als Auslöser in Betracht. Dies kommt jedoch häufiger vor, als man denkt. Bei einem Beckenschiefstand werden die Nackenwirbel nicht selten in Mitleidenschaft gezogen. Kommt es in diesem Bereich zu starken Verspannungen oder zur Einklemmung eines Nervs (bei Skoliose), wird Schwindel ausgelöst.
Wie wird ein Beckenschiefstand diagnostiziert?
Du selbst kannst einen Beckenschiefstand im Frühstadium kaum erkennen. Zu warten, bis ernste Symptome auftreten, ist jedoch keine Option. Falls Du unter unerklärlichen (Rücken-)Schmerzen leidest, solltest Du einen Verdacht bezüglich des Beckenschiefstandes ärztlich abklären lassen.
Der Orthopäde wird bereits nach einer kurzen Untersuchung erkennen, ob Du unter einem Beckenschiefstand leidest. Um die Diagnose zu bestätigen, kommen zusätzlich bildgebende Verfahren zum Einsatz. 4D-Vermessungen lösen hierbei immer öfter die herkömmlichen Röntgenaufnahmen ab. Das Verfahren kommt ohne schädliche Strahlung aus, weshalb es sich vor allem für regelmäßige Kontrollen eignet (auch bei Kindern und Jugendlichen).
Wie kann man einen Beckenschiefstand korrigieren?
Die Therapie des Beckenschiefstandes hängt selbstverständlich von der Ursache ab. Wenn Du unter einer Beinlängendifferenz leidest, solltest Du im Alltag Spezialschuhe oder orthopädische Einlagen tragen, um die Differenz auszugleichen. Weiterhin können Dir Dehnungsübungen helfen, Dein zu kurzes Bein zu strecken.
Effektive Übungsvideos, z. B. von Liebscher und Bracht, findest Du auf Youtube:
Beckenschiefstand korrigieren mit Osteopathie
Ist eine Wirbelblockade für den Beckenschiefstand ursächlich, lässt sich dieser optimal durch Osteopathie behandeln, z. B. durch Einrenken. Motto der Osteopathie ist es, nicht nur die Symptome zu lindern, sondern die Ursache vorhandener Beschwerden zu ergründen und zu beseitigen.
Der Osteopath arbeitet vorwiegend mit seinen Händen, wobei er Bänder, Muskeln und Gewebe rund um das Becken stimuliert. So lässt sich eine verhärtete Muskulatur sanft lockern.
In der Osteopathie ist zwischen drei Therapiekonzepten zu differenzieren:
- parietale Osteopathie: Beseitigung von Gelenkblockaden
- viszerale Osteopathie: Beseitigung der Fehlstellung innerer Organe
- Cranio-Sacral-Therapie: Funktionstüchtigkeit von Gehirn und Rückenmark fördern
Nicht selten beeinträchtigt ein Beckenschiefstand die Funktionen des Magen-Darm-Trakts. Leidest Du unter derartigen Beschwerden, können Dir gezielte Mobilisationstechniken aus der MOT (Manuellen Organ Therapie) Linderung verschaffen.
Verursacht eine Beinlängendifferenz größere Probleme, eignet sich vor allem die Cranio-Sacral-Therapie. Der Osteopath wendet leichte Druck- und Zugkräfte an, wodurch sich spezifische Symptome verringern lassen (z. B. Migräne, Kopfschmerzen, Ohrengeräusche).
Weiterführende Informationen zum Thema findest Du hier.
Pilates- und Yogaübungen gegen Beckenschiefstand
Pilates und Yoga sind keineswegs nur eine modische Trenderscheinung. Tatsächlich können diese beiden Trainingsformen helfen, Deinen Körper und Geist wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Im Falle eines Beckenschiefstands gilt dies wortwörtlich.
Yogaübungen bei Beckenschiefstand
Die Taube
Bei dieser Übung sitzt Du auf dem Boden, vorzugsweise auf einer Trainingsmatte. Du streckst ein Bein gerade nach hinten aus. Die Vorderseite des Oberschenkels und Dein Fußrücken berühren den Boden. Dein anderes Bein winkelst Du nach vorne an, sodass Du es vor Deinem Becken platzieren kannst. Der Unterschenkel sollte parallel zu Deinem Becken zeigen. Deine Fußspitze ziehst Du nach oben. Wenn Du die Intensität der Übung verstärken möchtest, kannst Du Deinen Oberkörper etwas nach vorne beugen. Halte diese Position, solange es Dir möglich ist. Dann nimmst Du einen Seitenwechsel vor.
Bei dieser Übung sitzt Du auf dem Boden, vorzugsweise auf einer Trainingsmatte. Du streckst ein Bein gerade nach hinten aus. Die Vorderseite des Oberschenkels und Dein Fußrücken berühren den Boden. Dein anderes Bein winkelst Du nach vorne an, sodass Du es vor Deinem Becken platzieren kannst. Der Unterschenkel sollte parallel zu Deinem Becken zeigen. Deine Fußspitze ziehst Du nach oben. Wenn Du die Intensität der Übung verstärken möchtest, kannst Du Deinen Oberkörper etwas nach vorne beugen. Halte diese Position, solange es Dir möglich ist. Dann nimmst Du einen Seitenwechsel vor.
Stellung des Kindes
Du begibst dich in den Fersensitz. Deine Stirn legst du auf dem Boden ab, deine Hände platzierst du neben den Füßen. Deine Handflächen zeigen dabei Richtung Decke. Diese Übung dehnt deine Wirbelsäule und entspannt dich.
Weitere Yogaübungen, die bei Beckenschiefstand helfen könnten:
- der Vogel
- diagonales Boot
- die halbe Kobra
- diagonale Katze
- schiefe Ebene
- Krokodilsübungen
Einzelheiten zur Übungsausführung findest Du hier.
Ein informatives Video zum Thema:
Pilatesübungen bei Beckenschiefstand
Kräftigung des Beckenbodens
Du legst Dich auf den Rücken und winkelst die Beine an. Deine Füße stehen hüftbreit auseinander. Nun atmest Du tief in den Bauch ein. Wenn Du wieder ausatmest, spannst Du Deine Bauchdecke an und ziehst Deinen Bauchnabel bewusst nach innen. Hierdurch wird Deine Wirbelsäule gestreckt. Mit dem nächsten Atemzug hebst Du Dein Becken an, bis nur noch Deine Schultern Bodenkontakt haben. Dann rollst Du Dich Wirbel für Wirbel wieder ab.
Rumpfübungen
Du begibst Dich in den Vierfüßlerstand. Nun streckst du den rechten Arm und das linke Bein aus. Dein Kopf sollte eine Verlängerung Deiner Wirbelsäule bilden, Dein Blick ist nach unten gerichtet. Halte die Position für etwa 20 Sekunden, dann wechselst Du die Seite.
Tipp: Die meisten Sportstudios bieten mittlerweile Yoga- und Pilateskurse an. Wie wäre es, wenn Du mal ein Probetraining machst? Weise den Trainer vorher darauf hin, dass Du unter einem Beckenschiefstand leidest. Bestimmt kann er / sie Dir weitere spezielle Übungen zeigen.
Beckenschiefstand beheben mit Physiotherapie
Die meisten Patienten, bei denen ein Beckenschiefstand diagnostiziert wurde, bekommen Physiotherapie verschrieben. Ziel der Physiotherapie ist es, das Ungleichgewicht der Muskeln zu beheben. Erinnere Dich: Beckenschiefstand entsteht häufig durch muskuläre Verkürzungen. Mithilfe von Dehn- und Kräftigungsübungen wird die schwächere Seite trainiert.
Gezielte Übungen findest Du hier.
Beckenschiefstand und Geburt
Bei der Geburt sind die Gelenke des Beckens einer erhöhten Belastung ausgesetzt. Die Muskelgruppen und das Gewebe werden strapaziert und geschwächt. Um dauerhafte Folgen zu vermeiden, ist ein therapeutisch begleitetes Hüft- und Beckenbodentraining während und nach einer Schwangerschaft empfehlenswert.
In mehreren Studien wurde untersucht, inwieweit eine Geburt einen bereits bestehenden Beckenschiefstand verschlimmert. Auch wenn in der Studie keine dramatischen Veränderungen dokumentiert wurden, solltest Du mögliche Geburtsrisiken aufgrund Deines Beckenschiefstandes unbedingt mit Deinen behandelnden Ärzten besprechen.
Beckenschiefstand bei Kindern
Auch Kinder können unter einer angeborenen oder erworbenen Schiefstellung des Beckens leiden. Längendifferenzen der Beine, die nicht unfallbedingt sind, gleichen sich in den meisten Fällen beim nächsten Wachstumsschub aus. Dennoch sollte eine ärztliche Abklärung erfolgen.
Ein Beckenschiefstand bei Kindern wird mit Krankengymnastik behandelt. Erhöhte Einlegesohlen sind ebenfalls eine Option.
Referenzen
- Rerucha et al.: Lower Extremity Abnormalities in Children. In: American family physician. Band: 96, Nummer: 4, 2017, p.226-233.
- Pjontek et al.: Heidelberger Standarduntersuchung. Medizinische Fakultät Heidelberg 2012, ISBN: 978-3-000-45957-3.
- Niethard et al.: Duale Reihe Orthopädie und Unfallchirurgie. 7. Auflage Thieme 2014, ISBN: 978-3-131-30817-7.
- Wülker et al.: Taschenlehrbuch Orthopädie und Unfallchirurgie. 3.. Auflage Thieme 2015, ISBN: 978-3-131-69253-5.
geprüft und ergänzt am 16.08.2021 von Dr. rer. nat. Marcus Mau
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